Kay Shanghai

Kay Shanghai hat ein Rap-Album gemacht. Ja, richtig gehört: Ein Rap-Album. „Manche Freunde fragen mich, warum das nicht schon viel früher kam”, sagt Kay Shanghai und lacht. Und irgendwie liegt es ja auch nahe: In den 15 Jahren seit der Gründung seines Clubs Hotel Shanghai in Essen hat er sich schließlich zu vorgerückter Stunde schon immer gerne das Mikrofon geschnappt und zu vibenden House-Beats den von Intuition inspirierten Zeremonienmeister und als Bindeglied zwischen alles und jedem gegeben. Spontan und aus dem Moment heraus – so, wie die ersten, vor gut zwei Jahren, nach einer Afterhour entstandenen Demos. Aber selbst da war noch nicht klar, dass mehr draus werden könne. Ist es aber – und jetzt ist Kay Shanghai der erste offen schwule deutschsprachige Rapper.

Ein Umstand, der Kay selbst ein bisschen egal ist. Aber man kann, muss und sollte das an dieser Stelle ruhig noch mal so klar sagen. Denn schließlich sprechen wir hier nicht nur über Kay Shanghai, sondern auch über Deutschrap – und der tut sich mit allem, was nicht der angestammten HipHop-Heteronormativität entspricht, auch 2021 immer noch ziemlich schwer. Genaugenommen nicht nur das. Rap ist in großen Teilen immer noch eine regressive und reaktionäre Pimmelparade sondergleichen.

Kay Shanghai hat das lange ähnlich empfunden. Er, der in China als Sohn eines deut- schen Bauingenieurs und einer Diplomaten-Tochter geboren wurde und in Venezuela, Indonesien und Irak gelebt hat. Der Schulabbrecher, der für ein Schauspielstudium zu seiner Schwester in die USA zog und dort in Miami eine Clubkultur kennenlernte, de- ren Intensität und Atmosphäre ihn nachhaltig prägte. Der anschließend in Mülheim in einem Antifa-Umfeld sozialisiert wurde und im örtlichen AZ seine ersten durchaus po- litischen Veranstaltungen organisierte, ehe Mitte der 2000er in Essen der mittlerweile legendäre Club Hotel Shanghai entstand. Ursprünglich nur für ein halbes Jahr ange- dacht, wird das Hotel lebendig und zu einem Treffpunkt mit Wohnzimmeratmosphäre für Subkulturen jeglicher Art, für queere und straighte Menschen – allesamt verbunden durch die Musik. Homo- oder Transfeindlichkeit, Mackertum und all dieser andere rückschrittliche Kram haben da keinen Platz.

Aber Mitte der 2000er verändert Rap sich. Und mit einem Mal kommen erst Deichkind und K.I.Z, dann Karate Andi und DCVDNS nach Essen, wenig später folgen Yung Hurn und Haiyti, Juicy Gay und LGoony, Ahzumjot und RIN, Money Boy und MC Smook an frühen Punkten ihrer Karrieren. Sie alle sind Teil einer neuen Generation, die Rap mit einem Mal ganz anders begreift: Avantgardistischer, fließender, intuitiver und vor al- lem ganz anders als die Altvorderen mit ihrem angestaubten Weltbild. Auch Pedaz und die 257ers gehen regelmäßig an der Steeler Straße ein und aus. Mit deren Produzenten Voddi, Barsky und STV entstehen bei einer Afterhour im Studio die ersten Demos.

Viele davon finden sich nun tatsächlich in ihrer ursprünglichen Form auf „Haram“, dem ersten Album von Kay Shanghai. Es sind Songs, die mal aus dem Moment entstan- den sind, intuitiv und ohne großen Plan, sich dann aber auch wieder ins große Ganze fügen. „Schwänze seit der Schulzeit“ etwa nimmt zu 2-Step-Taktung und glitzernden Synths die halbneugierige Schrittguckerei und den Pseudo-Exhibitionismus aller Spie- gelselfiebefriediger und Kabinenpisser auf die starke Schulter.

„Ananas“ huldigt Säften in allen Aggregatszuständen und Geschmacksrichtungen, ganz egal ob sie Fruchtpressen oder Körperöffnungen entstammen, während „Trigger“ mit hypnotischen Melodien und magenmassierende 808s zur lasziv und intuitiv vorgetrage- nen Kollektivprovokation wird, ehe „Mein Herz in deinem Hirn“ das Tempo anzieht, während Kay Shanghai es sich zu discoiden Beats in deinem Verstand breitmacht und auch nicht vorhat, wieder zu gehen.

Im Emo-Rap-Tune „Lego“ baut Kay Shanghai mit kunterbunten Kunststoff-Klemmbau- steinen ein Märchenschloss aus Plaste und Elaste, in dessen Elfenbeinturm er am Ende doch alleine sitzt. „Entspannt“ schmust zu funky Basslines abwechselnd mit Daft Punk und Giorgio Moroder und feiert als Kriegserklärung an alle Spießer das Leben abseits der Norm, in dem Action statt Altersvorsorge angesagt ist und die Afterhour auch mal einen ganzen Tag gehen kann. Und dann ist da noch der Titeltrack „Haram“. In bester Cloud-Rap-Manier schwebt Kay Shanghai über fluffig-leichten Synthieflächen, koket- tiert mit heruntergeschraubtem Zeitlupensprech der dreckigen und drogigen Sorte, erzählt von kurzen Tagen, langen Nächten und dem ewigen Unterwegssein, bis der Sündenbegriff sich im transzendentalen Nirgendwo auflöst.

Die Songs auf „Haram“ sind mal laut und dann wieder leise, hier ein wenig obszön und dort eher zurückhaltend und zärtlich, sie sind witzig und tieftraurig gleichermaßen. Sympathisch und stilsicher, ehrlich und direkt entsagen die Stücke Klischees und kon- formem Denken gleichermaßen. Letzten Endes sind sie wie Kay Shanghai selbst und tragen ein Selbstverständnis vor sich her, das vielleicht auch andere anstecken kann. „Ich habe mich nie als explizit politisch verstanden, aber ich glaube, dass meine Musik diesbezüglich eine Gewichtung hat – und wenn ich mit ihr für ein paar Menschen ein- stehen kann, ist es das wert. Let’s kick ass!“